Die Sache mit dem Anhalter

DU HAST WAAAAAAAS ???

… meine Große schnappte nach Luft und machte Fischaugen!
Das Kind ist total vernünftig, würde nie etwas tun, ohne zuvor darüber nachzudenken und ist zunehmend am Verzweifeln, was das Verhalten ihrer Mutter angeht.

Vorausschicken muss ich eine kleine Begebenheit:
Neulich, dunkle Jahreszeit, hatten wir uns verfahren.
Es war die Strecke zum Schwimmbad, die bin ich erst 2000-mal gefahren.
Ich brauche kein Navi um in der Gegend herum zu irren.
Ich kann das alleine.
Einsames Dorf, kein Mensch auf der Straße außer einer.
Den habe ich nach dem Weg gefragt.
Bin da total offen!
Von meiner Tochter musste ich mir später anhören, dass das ein zwielichtiger Typ mit fettigen langen Haaren, KIK-Jogginghose, einer Hells-Angel-Lederjacke und blutrünstigem Kampfhund war, der uns alle hätte töten können.
Ich weiß nicht was sie hat, ich hatte alle Türen verschlossen, nur das Fenster an ihrer Seite runter gelassen.

An diesem Abend musste ich ihr schwören, keine Typen mehr anzuquatschen.
Hach, sie ist so vernünftig!
Aber heute war sie ja nicht mit.
Ich fahre also gut gelaunt, weil von Arbeit und Kindern befreit, Richtung Baumarkt!
Am Ortsausgang steht er: Der Prototyp eines Junkies, jahrelange Kiff- und Alkerfahrung, Sympathieträger in jeder Obdachlosensiedlung.
Und er wollte mit!
Er wollte mit mir mit!
Kennt ihr das, wenn ihr eine Situation erlebt und ihr genau wisst, was in diesem Moment eure Liebsten dazu sagen würden?

Ok, junger Mann, vielleicht überlebe ich das hier nicht, weil du mich unterwegs wegen 3,50 € abmurkst, aber ich brauche eine neue Story.

„Ey, duuuu, dass finde ich jetzt voll guuuut, dass du anhältst!
Ich nehm‘ mal schnell ein echt scharfes Füschermint, damit du meine Bierfahne nicht so abkriegst.“
Bor, ist der sozial!
Wenn der gewusst hätte, dass ich ihn mitnehme, hätte der vorher bestimmt auch noch geduscht, sich rasiert und die Dreckbratzen 24 Stunden in Palmolive eingeweicht.
Die Füschermints rissen es nicht wirklich raus. Und ich war froh, dass ich 20 l Katzenstreu im Auto hatten, die den strengen Geruch ein wenig absorbierten.

Dann erzählte mir mein neuer Freund auch gleich, dass er gerade aus dem Knast kam.
Nix Ernstes – nur Diebstahl!
Also nix mit Gewalt und so, da issa gegen!
Ein ehrlicher, offener Mensch!
Wo hatte ich meine Handtasche hingetan?
Es folgte eine kleine Diskussion über den Sinn von Jugendknästen und wie die Knackis da das Personal, am liebsten die Psychologen, linken.
Welch Einblicke in eine andere Welt!
Aber ich konnte ja mitreden.
Ich wusste, dass es bis 1971 einen Jugendknast mitten in der Stadt gab, in dem mein Onkel arbeitete. Das fand mein Anhalter ja nun total spannend:
„Neee, du warst auch schon mal im Knast?
Echt?
Aber Moment, das kann gar nicht sein, duuuu, als der Knast abgerissen wurde, warst du doch noch gar nicht auf der Welt!?“

HALLOOOO, dieser auf den zweiten Blick so sympathische junge Mann hat sofort erkannt, dass ich 39 bin. Könnte natürlich auch an dem Zeug liegen, was er intus hatte, denn er fragte mich, nachdem er mir mein jugendlich frisches Aussehen bescheinigt hatte, mit tellergroßen Augen:

„Wo wohnstenduuu genau?
Wir können ja mal öfter zusammen nach Hameln fahren, du bist voll in Ordnung!“
Das war der Moment wo mein Schutzengel, der bis dahin die Klappe gehalten und nur die Augen verdreht hatte. einen Baseballschläger in die Hand nahm und mir drohte:
„Wenn du jetzt nicht die Klappe hältst, Alte, kündige ich!“

Ich beließ es also bei vagen Angaben wie:
„Am anderen Ende vom Dorf, beim Friedhof!“
„Ey, kennich, da wohnt doch auch dieser Engländer, der Tom!“

Scheiße, scheiße, scheiße!
Tom ist mein Nachbar von gegenüber!
Er weiß wo ich wohne!
Los Gehirn schick mir einen Geistesblitz.

Von meinem Schutzengel war keine Hilfe mehr zu erwarten, der war in Ohnmacht gefallen.

Aaaah, Hameln, City, Vollbremsung!

Mein Anhalter hat sich mit Handschlag bedankt. In diesem Moment bedauerte ich es, dass ich nicht zu den Menschen gehöre, die Sakrotantücher im Auto haben und verabschiedete mich mit den Worten:
„Man sieht sich, ey!“
Lieber Gott, liebe Göttin, liebe Schutzengel, ich will es auch nie, nie wieder tun, ich will auch immer auf meine Tochter hören und nie nicht mehr Männer anquatschen, aber bitte, bitte macht, dass der Typ so bekifft war, dass der mich an der nächsten Ampel vergessen hat.