Sibirien in der Schule

7:00 Uhr Lovis verlässt mäßig gelaunt die heimatliche Hütte um Kind Nr. 1 zur Praktikumsstelle zu fahren; Busse verkehren nicht zeitgerecht.
Schlage also unerwartet früh an meinem Arbeitsplatz auf:

Sibirien!
Durchschnittstemperatur 5°C in den Klassen.
Also eigentlich eine frische Arbeitstemperatur, aber da es um Kinder und nicht um Lehrer geht rief unser Hausmeister fünf vor sieben den Installateur an.
Der kam schlagartig um halb neun, inzwischen saßen Kinder samt Lehrerinnen in Jacken und Stiefel in den Klassen, die sportlichen Kolleginnen machten neckische Bewegungsspiele.

Nun muss man wissen, dass unser Hausmeister der Typ testosterongesteuerter Türsteher ist. Der stand also mit verschränkten Armen breit im Eingang und erwartete den Installateur.

„Kollege, du kommst spät!“

Entweder war dieser kurzsichtig oder lebensmüde, denn er antwortete:

„Ich musste doch erst mal frühstücken!“

Unser Hausmeister schnappte ihn dann auch, ohne ihm eine Tasse Kaffee anzubieten und schleifte ihn in den Heizungsraum.
Dort stellte der Fachmann nach einer Stunde fest:
„Da ist ein Teil defekt!“
Inzwischen hatten auch die sportlichsten unter den Kollegen keine Lust mehr auf Ringelpietz mit Anfassen und waren zum Gruppenkuscheln übergegangen.

Das Teil muss ich aus Herfort holen, dauert drei Stunden.
Blick auf die Uhr. Ist ja jetzt blöd. Fällt genau in meine Mittagszeit.

„Und dann? Wann funzt die Heizung wieder“, fragte Cheffe, der inzwischen auch den Heizungsraum erreicht hatte?

„Och, wenn ich noch’n Monteur kriege, so etwa vier Stunden.
Ist aber blöd, weil um vier habe ich ja Feierabend.“

Das war der Moment wo unser Chef die Ärmel hochkrempelte und zur Tat schritt. Ne, nicht dem zeitbewussten Facharbeiter an die Gurgel sprang, sondern ans Telefon. Sekunden später hatte bekannter Facharbeiter auf seinem Handy ein ziemlich unangenehmes Gespräch mit seinem Chef.

Seine Laune besserte sich dadurch nicht, aber es bleibt die Hoffnung, dass wir morgen wieder in einer wohltemperierten Schule dem Müßiggang nachgehen.

Heute jedenfalls war um 10 Feierabend!

Die Heizung lief am nächsten Tag wieder.
Für den Rest der Woche musste sich unser Chef in jeder großen Pause mit hysterischen Eltern beschäftigen, die sich darüber aufregten, dass ihre Kinder, weil wir die Eltern telefonisch nicht erreichen konnten mit zu Freunden geschickt hatten.
Etwa ein Drittel der Eltern war zu Hause nicht zu erreichen (15 Kollegen haben 185 Eltern versucht zu erreichen, mit ihren Privathandys, da wir die zwei Schultelefone ja nicht blockieren durften). Dieses Drittel gibt die eigene Handynummer nicht raus, da das ja ’sensible‘ Daten sind, die man unmöglich der Schule anvertrauen kann.
Eine Antwort darauf, was wir mit diesen Kindern, deren Eltern nicht zu erreichen waren, hätten tun sollen, bekamen wir aber nicht.
Hätten wir uns auf die Kinder draufsetzen sollen, um sie zu wärmen?

Antworten wie … „Wieso, ich war doch nur kurz bei Edeka, da hätten sie es eben immer wieder versuchen müssen“ … waren keine Seltenheit.
Klar, 185 Eltern rufe ich doch gerne in 10 minütigen Abständen immer wieder an.

Was wäre denn gewesen, wenn es nicht nur ein Heizungsausfall gewesen wäre, sondern dem Goldkind etwas passiert wäre?

Dann hätten wir diese ‚Ich-gebe-meine-Handynummer-nicht-raus-Eltern‘ auch nicht erreicht.