Tief enttäuscht musste ich in diesem Jahr zur Kenntnis nehmen, dass das alljährliche Weihnachtskegeln ausfallen musste.
Gertrud, unsere älter werdende Eventmangerin hatte es versäumt rechtzeitig eine Bahn zu reservieren.
In der freien Wirtschaft wäre sie jetzt knallhart gefeuert worden, aber als Beamtin auf Lebenszeit, die sie nun einmal ist, muss man so eine Versagerin eben bis zur Pensionierung mit durchschleppen.
Tief seufz!
Wenigstens hat sie es geschafft eine Lokalität aufzutreiben, die uns in der Vorweihnachtszeit Asyl gewährt.
Vinothek, hieß das Etablissement.
Der klugscheißende Lateiner remembert sofort ‚in vino veritas‘ und kombiniert logisch folgerichtig, es handelt sich um ein Weinlokal.
Ich hätte den Laden, mitten in der Fußgängerzone nie als Speise-, bzw, Weinlokal erkannt. Sieht von außen aus wie ein kleiner Laden, der Kunst ausstellt und als Kunstobjekte Weinflaschen an den Wänden stapelt.
Nun denn, warum nicht!
Man erwartete uns, eine lange Tafel war bereits gedeckt.
Das hatten wir bei Gertruds Organisationstalent auch schon andern erlebt.
„Wie, Sie wollen mit 20 Leuten essen?“
„Hier?“
„Heute?“
„Bei wem haben Sie das bestellt?“
Nein, heute schien alles glatt zu gehen!
Der Kellner nahm lächelnd die Getränkebestellung auf. Hätte er lieber lassen sollen, also das mit dem Lächeln. Rechts oben hatte er keine Zähne, links braun-graue Stumpen. Er sah ein bisschen so aus, als ob er vor kurzem noch unter der Weserbrücke gehaust hätte und man ihm nun nach einer Dusche und einem Besuch in der Kleiderkammer eine Chance einräumen wollte, sich auf dem Arbeitsmarkt zu bewähren.
„Bier?“
„Nein, Bier gibt es hier nicht – wir sind ein Weinlokal, mein Herr!“
Der Chef schmollte.
Nun verpasste er schon Dortmund gegen Hannover und dann nicht mal ein Bier.
Da mir die französischen Namen der Weine auf der Karte alle nichts sagten, ich nicht wirklich eine Weinkennerin bin und auch noch meine Lesebrille zu Hause vergessen hatte, rettete ich mich, wie ich das in feinen Lokalen immer mache, mit dem Spruch:
„Ich hätte gerne einen halbtrockenen Rosé, was können Sie da empfehlen.“
Der Zahnlose guckte mich an, als wenn ich ihn aufgefordert hätte mir die Quantenphysik zu erläutern und wiederholte (langsam) meine ungeheuerliche Bitte:
„Ei-nen halb-trok-ken-nen Ro-sé?!?!?
Da muss ich mal fragen!“
Ey klasse!
Bier hammse nicht, weil elitäres Weinlokal und wenn jemand einen Rosé möchte, muss er passen.
Zum Essen gab es Flammkuchen in verschiedenen Versionen.
Eigentlich ganz lecker, aber die Küche war dem Ansturm nicht gewachsen.
Auf einem großen Brettchen serviert, war das Zeug schnell kalt und als der Letzte sein Essen bekam, waren die Ersten schon fertig.
Für unsere Ecke kein Problem. Immer wenn einer Essen bekam, fütterten wir uns gegenseitig mit Nahrung, so dass jeder mindestens vier verschiedene Sorten probiert hatte.
Und Spaß hatten wir außerdem!
Gertruds Ecke war irgendwie … ruhiger!
Bloß Bruni hatte die A… karte gezogen.
Muss die Vegetarierin auch aus der Reihe tanzen und Gemüseplatte bestellen?
Wir hatten alle schon unseren Flammkuchen intus, da saß Bruni immer noch vor ihrem leeren Platz. Da schlurfte eine schwarze, wohlbeleibte Gestalt herbei.
Figur: Typ Seebär; Gang: Butler von Miss Sofie.
Auch das Frauentatoo auf seinem Unterarm sprach für Weltumsegler oder aber hier läuft gerade ein innovatives Resozialisierungsprogramm ‚Ex-Knackis zurück in den Beruf‘. Die Qualität des Kellners und seine Zähne sprächen für letztere These.
Der Seebär also pirschte sich an Bruni heran und raunte ihr ins Ohr:
„Waren Sie das mit der Gemüseplatte?“
Oh, oh, das klingt nicht wie: Ich bringe Ihnen gleich etwas Leckeres.
Das klingt eher wie: Der Küche ist da ein dummes, dummes Missgeschick passiert!
Bruni, dann auch gleich misstrauisch geworden, fragte:
„Was ist mit meiner Gemüseplatte?“
„Darf da Schafkäse drauf?“ sybillisierte Käpt’n Cook.
„Äh, ja, warum nicht!“ Nach zwei Stunden Wartezeit sinken die Ansprüche.
„Hätt‘ ja sein können Sie sind Veganerin. Hätt‘ ja sein können. Dann darf da kein Käse drauf.“ Smile!
Bruni, vom Hunger zerfressen, versicherte: „Ich esse alles! Bringen Sie mir Essen!“
Nun muss ich Bruni mal eben schnell beschreiben. Übrig gebliebene 70er Jahre Anti-Atomkraft-Gegnerin. Kauft Klamotten second-hand, weil da die Schadstoffe schon rausgewaschen sind, schneidet sich die Haare mit der Nagelschere (es sieht zumindest so aus) und trägt eine John-Lennon-Gedächtnis-Brille. Alles extrem naturbelassen. Im letzten Urlaub hat sie sich fünf Tage in der Wildnis aussetzen lassen, um Grenzerfahrung zu sammeln.
Da kann man den Koch, als solcher stellte sich der Seemann nämlich heraus, schon verstehen, wenn er eine solche Frau für eine Veganerin hält.
Ich tröstete Bruni dann auch mit den Worten: „Schatz, du siehst nur so aus wie eine dieser Öko-Tanten. Im Inneren bist du ein Vamp.“
Nachdem nun auch Bruni endlich ihre drei Sorten Kartoffeln gefuttert hatte, kam der Höhepunkt des Abends: Das Schrottwichteln!
Böse Falle!
Gertrud liebt große Auftritte!
Und als Organisatorin dieses Abends oblag es ihrer Pflicht, same prozedure as every year, die Spielregeln zu erklären.
Hört die Bande zu?
Nicht die Bohne!
Es soll sogar Kolleginnen geben, die mit voller Absicht diese Phase des Abends durch Dazwischenquatschen und Nachfragen gezielt boykottieren. Böse, böse!
„Bei welcher Zahl wird gewechselt?“
„Wie war das noch mal mit dem Auspacken?“
„Muss man tauschen, auch wenn man gar nicht will?“
„Können wir denn endlich mal anfangen?“
„Ich habe hier hinten kein Wort verstanden. Kannste das noch einmal erklären?“
Herrlich! Gertrud stand am Rande eines Nervenzusammenbruchs.
Der bösen Ecke rollten die Tränen runter vor Lachen.
Wenn du beim Schrottwichteln verhindern willst, mit einer alten Nachtischlampe nach Hause zu gehen, hilft nur gnadenloses Bescheißen. Unsere Ecke war sich da einig!
Wir haben immer die Zahlen gewürfelt, die wir brauchten!
Die anderen staunten über unser Glück!
Lustig wurde es dann noch einmal beim Bezahlen!
Bei jedem, aber wirklich bei jedem, verrechnete sich der Ex-Knacki!
Weniger lustig fanden den Rest des Abends dann die es, die ihr Auto in der Garage der Einkaufmeile geparkt hatten.
Die war nämlich zu!
Bruni, meine immer wieder gern benutzte Fahrgemeinschaft, hatte ihr Leukoplast-Gefährt am anderen Ende der Stadt geparkt. Ich dachte schon: „Hätte ich auch gleich zu Fuß gehen können.“
Aber es stand unter freiem Himmel und unserer Rücktour stand nix im Weg.