Gestern Abend – das Telefon klingelt – eine mir unbekannte Nummer erscheint auf dem Display.
„Hier spricht KXXX !“ schnarrt es hart in meiner Ohrmuschel.
AAAhhhh, die liebe Gerti!
Aber warum meldet sie sich so förmlich mit ihrem Nachnamen?
Wir haben das zweifelhafte gegenseitige Vergnügen seit über 20 Jahren zusammen zu arbeiten und duzen uns eben so lange.
Und der nicht eben melodisch klingende Name Gertrud ist glücklicherweise eher selten in meinem Bekanntenkreis. Bei manchen Vornamen frage ich mich eh, wie sehr können Eltern hassen, dass sie einem unschuldigen Wurm diesen Vornamen verpassen.
Aber egal! Gertrud saß mir in der Muschel.
Neugierde kam auf.
Welche Gemeinheit bewegt das Aas, mich in den Ferien zu belästigen?
Ich heuchelte ein scheinfreundliches: „Ah, hallo Gertrud!“
„Ich komme gleich zur Sache, Lovis und lass mal alle Förmlichkeiten weg.“
Au weia, dass klang gefährlich.
Hatte einer unserer lieben Kollegen die Ferien nicht überlebt?
Muss ich in meinen eng gepackten Ferienterminkalender noch eine Butterkuchenfete einplanen.
„Sprich, Gertilein, wen hat es vor der wohlverdienten Pension dahingerafft?“
„Ich habe versucht dir eine Email zu schreiben!“ schnauzte es am anderen Ende vorwurfsvoll, „die kommen alle zurück“.
Ähm, ja, äh!
Mein Lieblings-PC-Spezialist Jascha sagt in solchen Fällen immer:
„Der Idiot sitzt vor dem Monitor!“
Analytisch veranlagt wie ich nun mal bin, begab ich mich mental in die Fehleranalyse.
„Welche Emailaddresse hast du denn benutzt?“
„Na die, die auf der Adressenliste steht!“, kam die wenig hilfreiche Antwort.
Nächster Versuch: „Und wie lautet die?“
Gertrud erwiderte etwas mit meinem Nachnamen und web.de.
Jepp, dass ist die Addi, die ich für Dienstzwecke verwende.
Klappt auch tadellos, denn andere Leute erreichen mich täglich dort.
Nun liege ich ja temperamentsmäßig irgendwo zwischen Gandhi und Mutter Theresa, also säuselte ich:
„Mein Gertilein, zufällig ist mein PC gerade on. Schick doch jetzt bitte einmal eine Mail los und ich schau, ob sie ankommt.“
Es gibt betreutes Wohnen, warum nicht auch betreutes Email-Schreiben.
Nicht ohne Grund habe ich einmal ein Praktikum im Altenheim gemacht.
„Dazu müsste ich meinen PC erst hochfahren und das dauert Minuten“, kam es beleidigt aus dem Off.
Richtig, die Alte reitet noch auf einem Röhrengerät, da muss man schon mal morgens den Rechner hochfahren, wenn man abends ins Netz will.
Ich hatte bereits seit Minuten meine linke Hand auf meinem Bauch-Chakra!
OOOOOHHHHHHHMMMMMMMMMMMM!!!!
Lovis bleib ruhig!
Ok, ok, ok, versuchen wir einmal etwas gaaaaanz Innovatives!
„Um was geht es denn, Gertrud? Sprich!“
„Um Freitag, um die Wanderung!“
Richtig, da war ja noch ein Termin diese Woche, auf den ich mich seit Wochen freute.
Gertrud, als Sportlehrerin organisiert solche Kollegenausflüge.
SIE organisiert das und keine andere!!!
Jede Verweigerung der Begeisterung an solchen Aktivitäten nimmt sie persönlich.
Einer der zahlreichen Gründe, warum sie mich so mag.
„Ich muss den Tisch bestellen. Nimmst du an dem Ausflug teil?“
Höre ich da einen leisen Zweifel an meiner Wanderfreude durchklingen?
Ob ich teilnehme?
Ich, die jährlich ihre Wanderschuhe dreimal neu besohlen muss?
Ich zittere vor Freude, wenn ich deutsche Landschaften per pedes erkunden darf.
Dieser Freitag wird der Höhepunkt des Schuljahres.
Ob ich mitkomme?
Pah!
Den Gefallen tu ich dir nicht, damit du auf der Wanderung über mich ablästern kannst.
Neee, da wandere ich zusammen mit denen, die über dich herziehen, du olle Zippe.
So wird ein Schuh (hihi ein Wanderschuh) draus!
„Was hast du denn geplant, meine liebste Chef-Organisatöse?“
„Nix, Großes, kleine Tour, geringe Steigung, wir könnten auf dem Rückweg auch eine Abkürzung gehen!“
Will die mich gerade beruhigen?
Kleine Tour, geringe Steigung?
Die will irgendwo rauf!
„Gertrud!!! Wo geht die Tour hin?“ fragte ich schwer misstrauisch geworden.
Nicht mit mir, meine Liebe, ich kenne euch Sportlehrer!
Alle gleich!
Wir machen jetzt alle zusammen ein bisschen Sport.
La, la, la!
Das wird allen Spaß machen!
Bla, bla, bla!
„Auf den Finkenborn! Leichte Strecke, oben essen wir etwas und dann wieder zurück zu den Autos. Um 10 geht es los um 16 Uhr sind wir ca. zurück.“
Das sind sechs (in Zahlen 6) Stunden!!!
Von diesen sechs Stunden wandervögeln wir mindestens vier.
Das Wochenende ist gelaufen!
Doch nun hatte sich Gertrud warm gesabbelt.
Sie organisiert, wenn sie organisiert, bis ins Detail.
„Da kannst dann ja eine Fahrgemeinschaft mit Bruni bilden! Ihr wohnt ja quasi im selben Ort!“
Nun muss man wissen, dass ich kein Freund von Fahrgemeinschaften bin.
Ich habe eine schwere Beifahrer-Phobie.
Nein, ich habe keine Angst vor Beifahrern, wie ihr wisst, ich schwitze aber Wasser und Blut, wenn ich bei jemandem mitfahre.
Ich hasse es, wenn ich nicht am Lenkrad sitze.
Die andere Variante, also ich nehme Leute mit, hat den entscheidenden Nachteil, dass man permanent auf eben diese Leute warten muss.
Außerdem muss man sich unterhalten während der Fahrt.
Kurz: Ich reiße mich nicht um Fahrgemeinschaften!
Totaler Blödsinn aber ist das, was Gertrud da vorschlug.
Reden wir hier immerhin von einer 10-minütigen gemeinsamen Autofahrt!
Dazu müsste ich Bruni vom Nachbarort abholen (5 km) und hinterher wieder wegbringen (nochmal 5 km).
Es nutzt also nicht mal der Umwelt!
Um zu verhindern, dass Gertrud nun auch noch Bruni kontaktiert, um ihre Fahrgemeinschaft durchzusetzen, versprach ich ihr, das zu übernehmen.
(Leck mich anne Füße!)
Wohl ein bisschen enttäuscht ob meiner fehlenden Dankbarkeit für ihr Organisationsgeschick, fiel die Verabschiedung ähnlich wortkarg und bar jeder Höflichkeitsfloskeln ihrerseits aus wie die Begrüßung.
„Shüß, Lovis!“
Klack!
„Ja, Gerti, denn mal shüß und schönen Abend noch. Grüß deinen Mann! Bis Freitag denn!“
Schade, hat sie nicht mehr gehört.