Nicht dein Tag, Babe!

Montagmorgen: Das Wochenende habe ich überlebt, jetzt muss ich auf die Schlachtbank. Monatelang habe ich Schmerzen ignoriert und in Kauf genommen, dass ich beim Zuschlagen die Faust nicht mehr ballen konnte, ‚kommt-von-alleine-geht-von alleine‘ hat nicht funktioniert.
Ich bin für 11 Uhr bestellt und als gute deutsche Beamtin versuche ich um 10 vor 11 den krankenhauseigenen Parkplatz zu befahren.
Belegt!
Komisch, hier kann man doch sonst immer … Noch denke ich mir nichts dabei und steuere Parkplatz Nr. 2 an. Scheibe runter um ein Ticket zu ziehen, da ruft mir jemand von gegenüber zu:
„Das können Sie vergessen, da hat so ein Volltrottel die Durchfahrt mit einem Parkplatz verwechselt, da kommen Sie nicht drauf.“
Na klasse, nun ist es elf und ich meine auf dem Parkticketautomaten die Aufschrift lesen zu können:

Heute ist nicht dein Tag, Babe!

Also ins Parkhaus.
Nun mag ich Parkhäuser ja eh schon nicht, eigentlich Parkplätze überhaupt.
Ich gehöre zu den Frauen, die beim Einparken das Radio ausschalten, wenn ihr versteht was ich meine. Aber dieses Parkhaus am Krankenhaus hat eine Besonderheit:
Es wird wegen seiner originellen Form ‚Die Torte‘ genannt.
Da hat sich mal ein Architekt etwas ganz Witziges einfallen lassen, aber so was von. Als wenn es nicht schwierig genug wäre, Autos auf rechteckige Parkplätze zu parken, nein, diese hier sind konisch zulaufend, super eng!
Die Auffahrten schaffste nur, wenn du vorher ausatmest. Hier parken Hamelner ganz zuletzt, wenn alle anderen Parkplätze der Stadt belegt sind oder wenn sie um 11 Uhr einen OP Termin haben und es bereits 5 nach 11 ist.
Also rein:
Erdgeschoss voll, auch das noch.
Jetzt auch noch die Auffahrt von der Breite einer Wasserrutsche, einer runden Wasserrutsche, hoch.
Rot: 1. Etage dicht!
Augen zu und weiter – die Atmung stell ich ein.
Auf dem vierten Parkdeck endlich ein grünes Signal und daneben die Aufschrift:

Heute ist nicht dein Tag, Babe!

Lovis, merke dir: Parkdeck 4!
Nicht vergessen!
Nun liegt das Parkhaus aber nicht direkt neben dem Krankenhaus, nahein, eine kleine Wanderung gibt’s gratis dazu. Jappsend erreiche ich den Haupteingang und der Sani am Noteingang daneben wittert schon Kundschaft und legt die Fluppe weg.
Rein in die Anmeldung!
Gott-sei-dank hatte mir die Lady am Telefon beschrieben, wo ich hin musste. Vorbei an 100erten von Notaufnahmepatienten, rechte Tür:
Kleiner Raum, Schreibtisch, daran sitzend, nicht hoch guckend so eine Art katholische Ordensschwester nur ohne Pinguinoutfit, sozusagen in Zivil, aber definitiv spaßbefreit.
Auf ihrem Schreibtisch hatte sie einen Aufstellkalender mit dem Spruch:

Und wenn dein Ende naht, nehm‘ ich dich in Gerechtigkeit auf.

Na, das nenn ich mal eine angemessene Begrüßung in einer Notfallambulanz.
Räusper: „Bin ich hier richtig?“ … Ohne hochzugucken kommt ein missgelauntes:
„Wohl kaum!“
Äh, ich zeige alle meine Beißerchen zu meinem liebsten Lächeln:
„Aber, aber ich möchte mich zu einer ambulanten Geburt anmelden (die Atmosphäre überforderte mich), ich meine natürlich zu einer ambulanten OP.“
Jeder andere hätte gelacht – sie nicht!
„Heute?“
Schwester Eckberta musterte mich von oben bis unten!
„Kann nicht sein!“
„AAAber ich habe noch am Donnerstag mit dem Chefarzt persönlich telefoniert…“ *stotterstotter*
„Name?“
Wenn die mich weiter so anguckt, weiß ich den auch nicht mehr.
Sie hämmert meinen Namen in den PC und eruierte wie ein Kriminalbeamter:
„Sie waren am 27. März hier.“
„Kann sein … aber danach war ich noch einmal hier.“ *flehenderblick*
Tipp, tipp, tipp: „Das ist richtig!“
Ja lüge ich oder was?
„Moment!“
Professioneller Griff zum Telefon ohne mich aus den Augen zu lassen:
Unverständliches Gemurmel in Stichworten.
Wahrscheinlich ein Code.
Hätte nur noch gefehlt, dass sie die Muschel zuhält, damit ich nicht von den Lippen ablese.
„Setzen Sie sich!“
„Jawohl!“
„Ihr Geburtsdatum?“
Hat die da einen PC mit meinen Daten oder was soll der Mist?
Ah, verstehe: Datenabgleich!
Ich könnte ja ein Terrorist sein, der sich hier inkognito die Hand aufschnippeln lässt.
„Familienstand?“
Wenn ich jetzt geschieden sage, weist sie den Arzt an, mich ohne Narkose zu operieren.
„Geschieden,“ gestehe ich kleinlaut, „unschuldig, gänzlich unschuldig geschieden!“
Ich blicke zu Boden und schäme mich.
„Mädchenname?“
*heul* das ist ja das reinste Kreuzverhör.

Ohne weiteren Kommentar überreicht sie mir einen Aufkleber mit meinen Daten und schickt mich zum Fahrstuhl:
„Halten sie sich rechts und dann links und dann wieder rechts.“
Zuviel rechts links für mein blondes Hirn, aber ich bin ihr entkommen.
Im Fahrstuhl frage ich einfach einen Pfleger, wie ich in den OP-Bereich komme.
„So, gar nicht,“ meint dieser und deutet auf meine Straßenkleidung!
Ich halte ihm meinen Eckberta-Gedächtnisaufkleber unter die Nase und belle:
„SIE schickt mich!“

Das reicht, dass er die Hacken zusammen schlägt und mich persönlich zur OP-Aufnahme bringt.
„Hier ist das Wartezimmer für Damen,“ flötet die nette Schwester und reicht mir eine 3×4 m große Plastiktüte:
„Da können Sie ihre Sachen rein tun.
Ich bring Ihnen gleich ihre OP-Sachen.“

„Äh, Moment mal, bei mir wird keine Niere transplantiert oder so.
Ich muss mich doch nicht komplett ausziehen für so eine Lappalie?“
„Doch, doch!“
Die Omi, die im Wartezimmer saß, präsentierte mir stolz die neue OP-Unterwäsche Kollektion. Die Hose besteht aus so einer Art Verbandmaterial mit zwei Löchern drin und darein, so erklärte mir Omi, kommt eine Einlage in Kindermatrazengröße. Darüber hängt man ein hinten offenes OP-Kittelchen und wer jetzt noch nicht wie ein Horst aussieht, den weist die Schwester an, das OP-Mützchen aus weißem Papierstoff überzuziehen.

So ausgestattet werde ich im Rollstuhl in den sterilen OP Bereich gerollt.

Das ich mir vorher zwei Stunden im Wartezimmer die Krankengeschichte von Omi angehört habe, lasse ich jetzt mal weg.
Auch die motzende Polin: „Hieerrrr weiß linke Hand nicht was rächte tut!!!“ ist mir keine Zeile wert.
Man rollte mich in den Aufwachraum, Gesicht zur Wand, damit ich das Elend nicht sehe.
So muss es im Altenheim sein.
Einfach vor eine Wand gerollt!
Wieder wird mein Rolli gepackt und in den Flur gerollt.
Wieder abgestellt.
Eine OP-Schwester fragt mich Minuten später: „Hat man Sie hier abgestellt?“
Och, nö du. Ich war gerade shoppen in Hameln, da dachte ich mir es wäre doch nett, sich für ’ne Weile halb nackt in einen Rollstuhl in den OP-Bereich zu setzen.

„Aber doch nicht hier!!!“ ereifert sie sich.
„Da können Sie ja in den OP sehen.“
„Echt???
Und das sagen Sie mir erst jetzt?“
Zu spät! Sie schob den Rolli, ihr ahnt es, mit meinem Gesicht zur Wand:

Heute ist nicht dein Tag, Babe! war da deutlich zu lesen.

Spannend wurde es dann im OP selbst und der Arzt, der sich für ein Uhr angekündigt hatte, kam dann auch schon um halb zwei.
Gesprächsstoff gab’s genug, denn eine der Schwestern plante Wacken zu rocken.
Ich denke noch: Kann der Hardrockdoktor reden und operieren gleichzeitig?
… da wurde es merkwürdig still hinter dem blauen Tuch.

„Das ist ja ein Ding!“

Er redet jetzt über Wacken, ne? Nicht über das, was er da in meiner Hand sieht?!
„So etwas sieht man selten. Schwester Antje, haben wir den Fotoapparat noch hier!“
Ich frage das blaue Tuch: „Houston, haben wir ein Problem?“
„Einen so weit fortgeschrittenen Befund sieht man selten. Viel später hätten Sie nicht kommen dürfen. Außerdem haben Sie eine interessante Sehnenanomalie. Wirklich ausgesprochen interessant. Bei Ihnen teilen sich die Sehnen an einer ganz anderen Stelle, als bei anderen Menschen.“
Er ist begeistert!
Das ist derselbe Typ, der bei meiner letzten Röntgenaufnahme feststellte, ich hätte schöne Knochen. Das ist wirklich mal ein Mann, der mich in- und auswendig kennt.
Ich sollte mich wenden lassen.
Er ließ mich meine Hand ein paar Mal auf und zu machen, quietschte dabei vor Vergnügen und meinte dann trocken: „Na, dann näh ich mal wieder zu.“
Der hat meine offene Hand, Körperwelten gleich, auf und zumachen lassen?
Der Mann hat Spaß an seinem Beruf.

Unten in der Aufnahme wieder angekommen, wieder menschenwürdige Kleidung tragend, fragte mich dann die Schwester:
„Sie werden doch abgeholt?
Sie wissen ja, dass man nach einer OP …“
„Ja sicher!
Ich werde abgeholt.“

Am A… hängt der Hammer!
Raus hier aus der Klappsmühle zu Parkdeck … äh, Nr. äh ?

Kleiner Nachtrag:
Dienstag kamen die Fäden raus, also die beiden, die ich dem Arzt noch übrig gelassen habe. Die anderen waren komischerweise irgendwie rausgefallen. Und das hat auch überhaupt nichts mit der Nagelschere zu tun, die da neben mir auf dem Beistelltischchen lag.

Ich würde doch nie …

War aber nicht mein Arzt, sondern so ein asiatischer Hilfsdoktor. Fußvolk!
Wenn ich geahnt hätte, wie grob der war, hätte ich mir die restlichen Fäden auch noch selbst gezogen.
Ich pflaume ihn also mit einem überdeutlichen „AUA!!!“ an, meinte der, das ginge nicht anders.
Habe ich ihm erst mal erklärt, wie schön man das schmerzfrei mit einer Nagelschere hinkriegt, meint der Kerl doch:
„Nagelscheren dürfe er hier aus Hygienegründen nicht benutzen.“
Bockiger kleiner Chinamann!
Dann diskutiere ich mit ihm, dass ich mir Sorgen mache, weil ich die Hand immer noch nicht schließen kann.
Er: „ICH mache mir keine Sorgen!“
Logo, motze ich los:
„Ist ja auch nicht DEINE Hand, Schlitzauge!“
Er meinte, bei den meisten Leuten dauere das sechs Wochen, bis sie überhaupt so weit seien wie ich.
Also eins sage ich euch, wenn ich in sechs Wochen wieder eine Faust machen kann, dann zeige ich dem Asiaten, was ein rechter Haken ist.