Der Bremen Trip, knapp überlebt

Die Hinreise via Bahn lief wider Erwarten ohne Zwischenfälle und ohne auffällige Mitreisende. Waren wir doch geschickt am Hannover Hauptbahnhof einer jugendlichen Reisegruppe von Hannover96 auf dem Weg nach Bremen ausgewichen. Nachdem der ehrenamtliche Betreuer lautstark und pädagogisch wertvoll seinen desinteressierten, leicht verblödeten, etwa zehnjährigen anvertrauten Trikotträgern die Anzeigetafel und die darauf zu entnehmenden Informationen erläuterte …

„… da steht Abreise“
„…und wie kriegt ihr jetzt raus auf welches Gleis wir müssen?“
„…seid ihr noch nie mit einem Zug gefahren?“
„… boar ey, hier ist Gleis 3 und wir fahren von Gleis 3, wo müssen wir also hin?“

Ey, Alter, das sind Fußballer, überfordere die nicht!!!

Der fußballbegeisterte Möchtegern-Pädagoge versuchte es anders:
„Vergesst es, wir haben in E reserviert – wo ist also E???“
„… na? Hier ist C, wo ist E?“
„Ey, man, ey, vergesst es, geht da hinten hin!“

Alles klar, die Jungs steigen in E ein, wir so weit wie möglich von Abteil E entfernt.

Hatte ich gesagt, die Fahrt verlief ohne auffällige Mitreisende?
War mir doch für einen Moment die etwa 19-jährige den ganzen Wagen lautstark dauerquasselnde Neustudentin entfallen.

Ihr wisst ja, dass ich einer gepflegten Kommunikation gegenüber nicht abgeneigt bin und durchaus zur Gesprächigkeit neige, aaaaaaber, wenn eine junge Frau, 45 Minuten lang am Stück jedes Gespräch in einem Wagon ersterben lässt, weil sie ihrer Kommilitonin, die anfangs die Beiträge noch mit ‚Ja‘ kommentierte, später nur noch resignierend nickte, ihr Leben erzählt, dann flüchte auch ich mit hängenden Ohren aus der akustisch überladenen Zone.

Für die Neugierigen unter euch, hier ein kurzer Ausschnitt des einseitigen Monologs in Stichworten:
Diesen Teil kann und darf man getrost überspringen – wir konnten es leider nicht!

„Es gibt in der Studentenbutze unterschiedliche Zimmer von 8 -18 qm von 250 bis 370 Euro warm sie hat die teuerste allerdings mit Dachschräge ihre Mutter wollte ihr unbedingt beim Packen helfen wunderte sich über die Dessous und hat das Haus zusammengeschrien ob sie denn nun mit allen neuen Mitbewohnern gleich vögeln wolle woraufhin ihr Vater die Mutter angeschrien hat und sie zu Hause mächtig Stress hat die erste Nacht in der neuen Bude hat sie dann mit Paul verbracht dem gefielen die Dessous sie hat bereits alle Infos über ihn bei Facebook ermittelt bei der Gelegenheit hat sie gleich Patty Cindy und Caroline gelöscht weil sie zu denen sowieso keinen Kontakt mehr hat und Caro nie leiden konnte, sie wird jetzt öfter mal jemanden löschen auch Leute von ihrer Schule, den Hinnak aber nicht mit dem sie im Matheleistungskurs saß obwohl der lange Beine hatte, machte aber nix da der ja mit ihr in einer Reihe saß, in der Nerdreihe weil sie da ja hingehört, mit ihren 14 Punkten ist ja klar nein es stört sie nicht dass ihre Eltern jetzt beim Umziehen helfen wenn die um 18 Uhr wieder verschwinden weil man ja noch was vom Tag haben will …“

Ich hoffe, ich habe nichts Wesentliches vergessen!
Erschöpft fielen wir auf den Bahnsteig – 10.40 Uhr Ankunft Bremen!
Wie durch ein Wunder stiegen wir in den richtigen Bus und erreichten Minuten später die Haltestelle Domsheide, Ecke Schnoor!
Ich blättere in meinem aus dem Netz gezogenen Stadtplan, um zu sehen, wo wir hin mussten, da wurden wir auch schon von einem sympathischen jungen Mann angesprochen, ob er helfen könne.
Nette Stadt!
Unser Ziel, das ‚Geschichtenhaus‘, fanden wir dann auch fast ohne Probleme.

Äh, den Hintereingang des Geschichtenhaus fanden wir ohne Probleme!
Dort standen lustig in alte Gewändern verkleidete Menschen und grinsten uns an.
Die Schauspieler hatten gerade Pause.
„Wollen Sie zu uns?“
Es entwickelte sich ein lustiger Smalltalk, in dem wir schon mal einige Szenen spontan improvisierten.
Die Schauspieler zeigten uns dann aber doch den Haupteingang und da wir genau die fehlenden Gäste waren, konnte die Führung gleich beginnen.
Da man uns ja bereits ‚kannte‘ hatte die Führung natürlich ihren besonderen Reiz und einige der übrigen Gäste fragten sich bestimmt, ob wir Gäste oder Teil der Aufführung waren.
Für alle von euch, die das Geschichtenhaus noch nicht kennen:
Geht hin, es lohnt sich und die Eintrittspreise sind wirklich moderat.
Die interaktive Führung durch die 15.-20. Jahrhunderte Bremer Stadtgeschichte dauert etwa eine Stunde.

Anschließend haben wir den in der Nähe liegenden Dom einschließlich des Bleikellers besichtigt. Aufpassen, der Dom hat sehr eingeschränkte Öffnungszeiten und wir konnten im Laufe des Tages viele enttäuschte Touristen vor den geschlossenen Toren beobachten.
Nun war es erst einmal Zeit für eine Stärkung.
Natürlich im Schnoorviertel.
Diese muckeligen Häuschen und die Atmosphäre sind ja so ganz nach unserem Geschmack, der selbst gebackene Kuchen und die leckerste Schokolade aller Zeiten im Cafe Tölke sind ihren Preis wert.
15 Uhr:
Der inszenierte Altstadtrundgang – Bremen ganz anders: ‚Bremen, Rom, Atlantis‘!
Zwei Stunden kurzweilige, informative Unterhaltung. Eine junge, engagierte Historikerin führte uns durch die Altstadt, immer wieder unterbrochen durch einen, naja, nennen wir ihn mal ‚bemühten‘ Schauspieler, der versuchte, dem Gesagten durch kurze Szenen Leben einzuhauchen.
Aber schön war es trotzdem!
17.05 Uhr endete die Führung im Knast.
Jepp, die haben da einen bis 1990 in Betrieb gewesen Knast zum Museum umfunktioniert.
17.05 Uhr, viele Kilometer vom Bahnhof entfernt, 17.19 Uhr geht der erste Zug gen Heimat.
Nicht zu schaffen!
Nicht zu schaffen?
„Los Mädels!
Wo eine Straßenbahn, da eine Haltestelle!“
Durchtrainiert sind wir alle, nach zwei Stunden Altstadtführung sind die Muskeln warm.
Sprint!
Schaffner japsend angeblafft: „Du halten am Bahnhof?“
„Jau!“
17.17 Uhr Halt vor dem Bahnhof – „Mädels achtet auf die Radfahrer, ansonsten: LAAAUUUUUUUUUFFFFFTTTT !!!“
Gleis 3 ist unser Ziel!
Gut, dass es nur Gleis 3 war, Gleis 7 hätten wir nicht geschafft.
Rein in den Wagon, sitzen, Zug rollt los!
„Hat jemand gesagt, wir kriegen den nicht?“

Leicht transpirierend aufgrund der ungewohnten sportlichen Einlage, schält sich unsere Jüngste aus ihrer Jacke und verfehlt bei dieser Aktion nur knapp die Nase des jungen Mannes, der leichtsinnigerweise neben ihr saß.
Kein Grund zur Panik, der Mann war Jack-Wolfskin-Jacken-Träger!
Ein Naturbursche also!
So ein Typ, der schon in jungen Jahren beschlossen hatte, in diesem Leben keinen Humor mehr zu haben.
Ich guckte ihn mitfühlend an und tröstete ihn:
„Tja, seine Mitreisenden kann man sich nicht aussuchen.“
Seine Humorlosigkeit wurde dann auf der 40 minütigen Fahrt nach Hannover noch auf eine harte Belastungsprobe gestellt. Gibt ja Leute, die unterhalten den ganzen Wagon (siehe Beginn der Geschichte). Und wir hatten immerhin was erlebt, dass musste ja nun durchgekaut werden und die Bilder wollte auch bestaunt werden.
Da bleib mal einer ernst.
War da eben ein Schmunzeln bei Mr. Ich-lach-nie!
Als meine Große dann meinte: „Ey, Mutter auf dem Bild haste voll ein Doppelkinn!“ und ich konterte: „Nur so lange, bis das im Fotoshop war!“ hat er sich dann lachend zum Fenster gedreht.
Beim Wiederanziehen ihrer Jacke lächelte meine Jüngste zuckersüß Mr. Ich-glaube-das-Leben-ist-doch-nicht-so-unlustig aufmunternd zu:
„Keine Angst, ich passt auf!“
Haarscharf am linken Ohr vorbei!
Dieses An-Aus-Spiel zog sie dann noch volle fünf Mal durch!
Es war einfach zu lustig, wie er jedes Mal in Deckung ging!

Endgültig vorbei mit seiner depressiven Lebenseinstellung war es dann nach dieser Szene:
Nachdem wir unsere Bremenerlebnisse durch hatten, berichtete meine Tochter von dem anstehenden Weihnachtsevent ihrer Schule.
Jede Klasse muss irgendetwas machen.
Soll aber keinen Strom verbrauchen.
Ich wisst schon: Energiebeauftragte.
Ok, man kam auf Negerkussbrötchen!
Ich meinte: „Streu noch etwas Zimt drüber, dann sind es Weihnachtsnegerkuss-Brötchen.“
Ich fand meine Idee genial und wenn ich mich genial finde, fange ich an zu gestikulieren.
Ich also in der einen Hand die imaginäre Brötchenhälfte.
„Und da legst du jetzt“, ich deute mit der rechten Hand einen unsichtbaren Negerkuss an, „den NEGERkuss drauf, streust etwas Zimt“, meine rechte Hand ließ unsichtbaren Zimt rieseln, „auf den NEGERkuss und WHÄÄÄMMM!!!“, ich klatschte in die linke Hand, „knallste jetzt die andere Brötchenhälfte drauf und zermatscht den NEGERkuss.
Fertig ist das Weihnachts-NEGERkuss-Brötchen!“

Meinte Tochter wurde blass!

Sie zischte durch die Zähne: „Sagdieseschwortnisch!“
„Hä? Was hast du denn?
Ist doch ’ne geile Idee dieses Weihnachts-Negerkuss-Brötchen!“ frohlockte ich.

„Negerkuuuuussss“, hauchte meine Große, „nenn es Schaumkuss.“
„Ey, Tochter biste jetzt nicht ein bisschen überpolitisch korrekt.“
Jetzt fing sie auch noch an heftige Kopfbewegungen nach rechts und nach links zu machen und forderte dringend flüsternd:
„Nicht sagen, dieses Wort mit N…“

Ups!

Die waren mir entgangen!
Vor uns, hinter uns, neben uns:
Eine Reisegruppe aus … Zentralafrika, Somalia????
Tiefschwarz!
Kein Wort Deutsch sprechend,
…außer vielleicht das Wort mit N ….
Wie mochten die wohl meine Negerkuss zermatschende Gestik deuten?
Das krieg ich nicht erklärt!

Nur Mr. No-Komik kriegte sich nicht mehr ein!

Mich retteten dann ein paar Jung-Assis der Marke Ey-Digga-Alter-ey.
Die schlurften laut grölend durchs Abtei und ich verfiel sofort in deren Slang, ey voll mit Respekt und so!
Was Mr. Grinsekuchen nun endgültig seine verkniffen Lebenseinstellung überdenken ließ und meine Große schnauzte mich sehr zu seiner Freude an:

„Reicht es nicht, dass du eine Horde Maximalpigmentierte diskriminierst, musst du dich auch noch mit einer Wagenladung Assis anlegen?
HALLO, Mutter, ich bin noch jung, halt die Klappe, ich möchte diesen Zug lebend verlassen.“