Verkehrsrowdy

Fahr ich doch gut gelaunt zum alljährlichen Krötentreffen. Eingeweihte wissen wer die Kröten sind, nicht Eingeweihte haben eben Pech gehabt.
Das heißt so ganz gut gelaunt war ich nicht, denn unser aller Chef-Organisator, nicht Lehrer, nicht Vater schulpflichtiger Kinder, wie alle anderen Kröten auch, hatte den Termin außerhalb der reichlich vorhandenen Ferien gelegt.
Während also die Nichtlehrer und Nichteltern sich entspannt einen Tag frei nahmen und gemütlich morgens nach dem Kaffeetrinken gen Insel zogen, schuftete die doppelt belastete berufstätige Mutter bis halb eins in der Bildungsanstalt, kaufte auf dem Rückweg den versprochenen Zaziki , verlud den Krempel ins Auto, um sich dann endlich um halb drei auf die achtstündige Reise zu machen.

Lehrerinnen sind clever!

Nicht die am Wochenende vollgestopfte Autobahn sollte mich auf die ersehnte Insel bringen, nahein, raffiniert auf Landstraßen durch die Pampams Meck-Poms, bin ich locker in siebeneinhalb Stunde auf dem Eiland. So der Plan!
Mein Navi verweigerte die von mir gewünschte Route!
Gutes Navi!
Gehobene Preisklasse!
Hätte ich doch nur auf dich gehört, mein kleines Navi.
Ich trickste das Hightech-Gerät aus, indem ich zunächst Richtung Hannover fuhr, dann Celle eintippte.
Ha, Navi, ich will die Landstraße, nicht deine Sch…Autobahnroute.
Dass ich mich dann erst einmal in Celle verfuhr und die erste halbe Stunde verlor, sei hier nur am Rande erwähnt. Irgendwann war ich in einer Gegend in der alle Orte auf …witz oder …kow endeten und irgendwie gleich aussahen. Ein bisschen wie meine alte Heimat, so ungefähr vor 40 Jahren.
Egal!

Wetter gut … despasito … la la la hasta provocar tus gritos y que olvides tu apellido … despasito …

‚Despasito‘ ist in diesem Zusammenhang ein gutes Stichwort. Für die nicht spanisch sprechende Bevölkerung unter den Lesern, ‚despasito‘ heißt ‚langsam‘ auf Spanisch. Was nicht ganz unbedeutend ist für den weiteren Verlauf der Fahrt.
Auf Landstraßen fließt der Verkehr gewöhnlich langsamer als auf Autobahnen, aber meine Geduld wurde auf eine harte Probe gestellt, als ich gefühlte drei Stunden hinter einem 60 km/h LKW hertuckelte. Das konnte auch der Spanier meiner Musikanlage nicht mehr schön singen.
Endlich, in einem der … witzkäffer bog der Lahmar… ab.

Freiheit … Vollgas … roter Blitz … Schock … Blick aufs Navi … böses Wort mit Sch…. oder war es F….? 100 in einer 50er Zone. Mein Navi grinste: „Hab’s dir gleich gesagt, du wolltest ja nicht auf mich hören. Und dann noch laut mitsingen, dass du meinen Warnen nicht hörst. Seeelber Schuld!“

Mir ist schlecht!
Bisschen zu schnell, normal!
Ist einkalkuliert im Haushaltsetat.
Aber das hier sprengt den Etat!
Rechts ran, Telefon an die Heimatfront: „Tochter, google mal 100 innerorts!“

Ohne Musik, despasito, du kannst mich mal, weiter gen Norden!
.
.
.

Unser Youngster unter den Kröten, Computerfachmann, brauchte dann auch nur zwei Klicks auf seinem Laptop und fragte, mit einem Blick, der mich beunruhigte: „Über oder unter 100?“
„Warum fragst du das, mein Kleiner?“
Ich kenne seinen treuen Hundeblick, wenn er sich Sorgen um mich machst.
„Weil du bei über 100 drei Monate zu Fuß gehst, unter 100 nur einen.“
Einen Monat krieg ich geregelt, drei Monate wären ’ne Katastrophe.

Mein Abendgebet an diesem Abend: „Lieber Gott, wir beide sind doch immer gut miteinander ausgekommen. Ich vertraue darauf, dass du mir keine größeren Steine in den Weg legst, als ich beiseite räumen kann und ich belästige dich nicht mit Kleinkram. Du, ich habe übrigens Pfingsten mein Kind taufen lassen. Ja, bissel spät, ich weiß, aber besser spät als nie. Gibt das irgendwelche Bonuspunkte bei dir?
Come on, Chef, dieses eine Mal noch. Lass mich mit einem blauen Auge davonkommen.
Für dich ist das doch ’n Klacks.
Amen und so…“

Den Rückweg habe ich dann meinem Navi überlassen. Das schmollte aber noch, erkannte gesperrte Auffahrten nicht, ließ mich in dutzende von Staus fahren. Wenigstens wird man im Stau nicht geblitzt. Nach knappen zehn Stunden war ich zu Hause.

Eins muss man der ostdeutschen Bevölkerung ja lassen, wenn sie von uns Geld kriegen, sind sie schnell. Schon eine Woche später kam der blaue Brief vom Amt.
Schafott oder lebenslänglich?
Schweiß abwisch – 93!
Year, chacka, klappt noch mit dem Draht nach oben!

Mit dem Draht in die ehemalige Zone klappte es dann auch umgehend, denn mir war wichtig meine vier Wochen (wie ich glaubte) noch in den Ferien abzusitzen.
Nett, der junge Mann am anderen Ende. Nö, hat auch gar nicht geschimpft. Er gehe mal davon aus, dass das das erste Delikt dieser Art bei mir wäre. Er sah auf dem PC mein Foto: ein unschuldiger Engel. „Ich schwöre, Herr Verwaltungsoberfachangestellte, nie nicht fahre ich zu schnell. Ist das erste Mal. Bin so zu sagen Raser-Jungfrau!“
Donnergrollen aus dem Himmel!

Ja dann, dann könne ich mir den Zeitraum frei aussuchen. Den Anhörungsbogen bräuchte ich nach unserem netten Gespräch auch nicht zurückschicken, er regele alles Weitere.
Läuft!

Eine Woche später kam erneut Post mit der Aufforderung meinen Lappen abzugeben oder Widerspruch einzulegen. Um die Sache zu beschleunigen, verzichtete ich auf alle meine Rechte, machte einen Vorratskauf, der eine fünfköpfige Familie ein halbes Jahr versorgen könnte und schickte mein wertvolles Dokument via Einschreiben in die Zone.
Das war an einem Mittwoch!
Mit Argusaugen verfolgte ich meinen kleinen Liebling im Internet.
Ankunft in Lüchow-Dannenberg: Freitag!
Er hat es geschafft, mein kleiner Held. Er ist unbeschadet angekommen.
Rechne, rechne, plus vier Wochen, fast komplett in den Ferien. Zwei Tage würde ich locker überbrücken.
Alles gut!
Eine Woche später, erneut Post aus den neuen Bundesländern.
„Ihr Führerschein ist bei uns eingetroffen.“
Weiß ich doch schon lange, ihr Pappnasen.
„Ihre Sperre läuft bis Mittwoch Mitternacht. Fahren Sie ohne Lappen, werden sie sofort standrechtlich erschossen. Gilt auch für Mofas.“
Ist ja gut! Ich habe es verstanden!

Mittwoch? Hallo? Freitag, Jungs, den Freitag vorher. Ihr habt mir ’ne halbe Woche extra aufgebrummt.
Nun bin ich für gewöhnlich nicht der Mensch, der sich gerne mit Menschen anlegt. Im Zweifelsfall halte ich die Klappe. Aber als ich so im Bekanntenkreis rumjammere und mir der dritte riet doch da mal anzurufen … Ok!

Nett, kann man nicht anders sagen, die Leute da drüben, zumindest da in der Behörde sind nett. Und so erklärte mir die Diensthabende auch sehr nett, dass ich keine vier Wochen abzusitzen habe, sondern einen Monat.
Die nächste Sperre fällt bei mir in den Februar, das ist schon mal klar.
Die Welt ist nicht gerecht.
Verschärfend kam hinzu, dass mein Schreiben unglücklicherweise an einem Freitag die Dienststelle erreichte. In normalen deutschen Ämtern bekommen Briefe auch freitags einen Eingangsstempel.
Da wo mein Führerschein jetzt ist, im Niemandsland, aber nicht.
Da ist freitags um 12 High Noon.
Pech, er wurde erst am Montag aus dem Postfach befreit – zwei Tage Extrahaft für die blöde Einsenderin.
Hätte sie ja wissen können.

Schnief – ich will ihn wieder haben!