Ende der Sommerpause
Wikipedia sagt –> Boßeln ist eine Sportart. Ziel des Spiels ist es, eine Kugel mit möglichst wenigen Würfen über eine festgelegte Strecke zu werfen.
Falsch!
Boßeln ist eine Sportart, bei der man sogenannte schlammbraune Boßelkugeln in knietiefem, nassem Gras sehr lange sucht.
Woher Lovis, die kleine Sportskanone das weiß?
Mhm!
Heute war nicht nur der grausame Tag, an dem die viel zu kurzen Sommerferien endeten, nein, unserer Sportlehrerin sei Dank, war heute der Tag, an dem nach der Dienstbesprechung ein sportliches Kollegiumsevent eigenhändig von ihr geplant und akkurat durchgezogen wurde.
Seit Wochen bin ich unruhig auf meiner Liege auf meinem Balkon hin und her gerutscht und habe auf den Moment gelauert, meine Wanderschuhe endlich aus dem Schrank zu holen. Manchmal bin ich nachts aufgewacht, bin hingeschlichen und habe ein wenig daran geschnüffelt, weil ich es nicht abwarten konnte.
Heute war der große Tag endlich da.
Als ich mir so mein ohnehin nicht von Schönheit gequältes Kollegium ansah, Lehrer halt, fiel mir mal wieder auf, wie hässlich Wandersachen ohnehin schon entstellte Menschen machen.
Nach verkürzter Dienstbesprechung, die Organisatorin drängelte, der Zeitplan musste eingehalten werden, stiegen wir in den Bus, um den Startpunkt zu erreichen.
8 (in Worten acht) Kilometer vom Schulort entfernt. Testament und Adoptionspapiere hatte ich gut sichtbar zuvor auf dem Küchentisch deponiert. Hätte meine Kinder gerne zum Abschied geküsst, aber die Pratzen haben noch gepennt zu der Zeit, als ihre Mutter den Weg zum Schafott antrat.
Boßeln ist eine Sportart in Ostfriesland. Wer das Land kennt, weiß, dass es daher üblich ist, sie volltrunken auszuführen. So mag sie erträglich sein.
Nun wurden uns zu Beginn von einer waschechten Ostfriesin langatmig und „hach watt sin mi oll lustig hüte“, die Spielregeln erklärt. Hatte ich erwähnt, dass unsere Sozialarbeiterin ihren Hund dabei hatte. Egal, unwichtig! Er hat nur zweimal eine Boßelkugel an die Beine gekriegt, weil Frauchen den dezenten Hinweis „der Hund sollte als letzter gehen“ nicht kapierte. Beim dritten Mal wurde der Hund gewarnt: „Vorsicht Lupo, Lovis ist dran!“
Ich weiß nicht warum man das Spiel erklären muss?
Kugel rollen, hinterher laufen, aufheben, weiterrollen!
Können ja sogar besoffene Ostfriesen.
Aber wir hatten ja Gottseidank unsere Sportlehrerin dabei, die jeden Regelverstoß lautstark kommentierte.
Alkohol gab es nur in Maßen und da ich die Sache möglichst schnell hinter mich bringen wollte, habe ich eben dieses Scheißding möglichst weit die Straße lang gerollt. Diesen Trick beherrschten die Boßel-Profis und alle sportbegeisterten Kollegen leider nicht. Die Kugeln rollten exakt 5-6 Meter auf der Straße und dann mit Schwung in den Straßengraben. Wo sie dann unter anfangs großer Anteilnahme stundenlang gesucht wurden. Maulwurfhügelfarbene Kugeln in maulwurfhügelfarbenen Gräben. Ich habe nicht gesucht und bei jeder Kugel gehofft, dass sie nicht gefunden würde.
Es zog sich!
Auf halber Strecke, nach zwei Stunden, fiel der mathematisch hochbegabten Orga-Chefin auf, dass zwei plus zwei vier ist, und dass wir somit, wenn wir in diesem Tempo weitermachen nicht rechtzeitig im angemieteten Lokal sein werden.
Nun habe ich gelernt! Jaha!
Wenn ich jetzt als ihre Lieblingskollegin sage: „Ey, lassen wir den Scheiß mit den Kugeln und wandern die restlichen 4 km einfach so“, kriege ich das nicht durch. Schon weil ICH es sage.
Hier war psychologische Kriegsführung gefragt!
Ich also scheinheilig säuselnd, mit der Ausstrahlung einer Mutter Theresa:
„Ist ja schade, dass man sich beim Boßeln so gar nicht richtig unterhalten kann. Wäre doch nett, wenn wir die restliche Strecke einfach nur so gingen, ein bisschen plaudern könnten und auf diese Weise auch schneller unser Ziel erreichten. Dann schaffen wir es rechtzeitig bis zum Essen.“
Wham!
Schachmatt in drei Zügen!
Gutmensch mit den eigenen Waffen erlegt!
Normalerweise hätte das Aas nämlich meinen Vorschlag abgeschmettert.
Aber damit hätte sie dem Wunsch nach Kommunikation, sozialem Miteinander in der Gemeinschaft widersprochen.
Scheißendreck-Zwickmühle!
Die restlichen 4 km wurden gelaufen, ohne Kugeln, der Hund freute sich, dass er wenigstens ein Bein unverletzt nach Hause bekam.
Ich schnappte mir Bruni, ließ mir zum x-ten Mal ihr Leben erzählen, aber die Alte hält wenigstens mein Tempo mit. Die hat Survivaltraining in der Uckermark überlebt, die überlebt auch einen Wandersprint mit Lovis. Das zähe Luder gibt nicht klein bei. Nach kürzester Zeit fragten wir uns, ob die anderen ein Taxi genommen hätten, weil es hinter uns so ruhig wurde. Ich sag ja immer, was mir keinen Spaß macht, bringe ich schnell hinter mich. Jedenfalls saßen wir beide schon gemütlich beim Weizen, als die lahmarschigen Wandervögel endlich eintrafen.