Lovis hat ihren letzten Arbeitstag für dieses Jahr hinter sich gebracht.
Meine Anwärterinnen waren sehr dankbar, dass ich als außerschulischen Lernort den hiesigen Weihnachtsmarkt für unsere Sitzung gewählt hatte – Atmosphäre im Seminar ist die halbe Miete, sag ich immer.
Überpünktlich Feierabend – war auch keiner böse drum.
Was macht die Lovis mit dem frühen Feierabend, so mitten in der Innenstadt?
Shoppen!
Wenn ich hier eine halbe Stunde vertrödele, kann ich die Kids gleich von der Schule aus mit nach Hause nehmen, überlegte ich.
Gesagt getan!
Wenn ich auch sonst recht emanzipiert bin, so gestehe ich doch, dass Schuhgeschäfte eine genetisch bedingte Anziehungskraft auf mich auslösen.
Nur mal gucken!
Dumdidum!
Schuhe sprechen!
Ja, tun sie!
Geht mal an einem Schuhregal vorbei!
Da stehen sie und reden mit euch!
Hypnotisch!
Und je teuer sie sind, desto deutlicher ihre Aussprache!
Ich hatte also ohne es zu wollen diesen Paul Green Schuh in der Hand.
Für die Männer: Paul Green ist so Preisklasse Mittelklasse-Ferrari!
9 cm Absatz – nee, kannste nie drin laufen Lovis!
Stell den wieder hin!
Aber Paul Green macht keine Schuhe in denen man nicht laufen kann, spricht die Erfahrung (und der Schuh in meiner Hand).
Mal unverbindlich anziehen!
Anziehen kostet nix!
Wie ein Handschuh!
Bei Parfüm und bei Schuhen merkste den Preis!
Ich könnte bei ‚Wetten, dass … ‚ auftreten:
Blind Schuhe anprobieren und den Preis sagen!
Parfüm schnüffeln – Preis auf den Cent nennen!
Im eigenen Interesse sollte man die beiden Wetten nicht verwechseln.
Als ich jetzt sah, dass der Paul Green Treter runtergesetzt war, hat der Rechte quasi ohne mein Zutun seinen Kollegen aus dem Lager gerufen.
Wollt ihr ihn mal sehen?
Hier ist mein Weihnachtsgeschenk, was ich mir gemacht habe.
Ist er nicht ……. aaaaahhhhh!
Nichts hebt die Laune einer Frau so, wie ein Paar neue Schuhe.
Gutgelaunt stiefelte ich auf den Weihnachtsmarkt, um mich mit meinen Mädels bei einer gefüllten Pizza und einem heißen Kakao zu treffen.
Der Pizzaverkäufer verrechnete sich um eine Pizza, kann man ja schon mal vom Kaufpreis der Schuhe abziehen. Die waren jetzt also quasi umsonst.
Ein schöööööner Tag!
Dann aber ereignete sich etwas, wofür ich gerne Eintritt bezahlt hätte.
Wir stehen da also so um einen kleinen Stehtisch und mümmeln unsere Pizza, als Tochter 1.0 rumdruckt, wie ein Cockerspaniel, der mal dringend sein Geschäft verrichten muss.
Sie machte „mh, mh“ und blickte gen Himmel.
Was hat sie nur?
„Mmmmmmhmm,“ Blick zur Seite!
„Zuhören und Fresse halten!“ bellte sie uns an.
Ok, klare Anweisungen verstehe ich.
Da stand ein alter, sehr alter, um nicht zu sagen uralter Mann mit seinem Fahrrad. Das Fahrrad (doppelte Frontbeleuchtung) diente ihm offenbar als Rollator-Ersatz. Das gebeugte Männlein im Alter einer Galapagos Schildkröte (der er auch nicht ganz unähnlich war) lauschte dem Vortrag eines Mannes, eingehakt bei einer kopftuchtragenden Frau, seiner Schwester wie sich heraus stellte.
Hier die sprachlos machende Zusammenfassung des Vortrags.
Lasst euch die Welt erklären!
Wir lauschten gebannt mit immer offeneren Mündern dem Unglaublichen.
Die Schildkröte musste auch zuhören, die konnte ja nicht weg.
1. Deutschland ist pleite. Runtergewirtschaftet. Wir arbeiten alle nur noch für die Amerikaner.
2. In spätestens fünf Jahren kommt es hier zum Bürgerkrieg, dann kommt der Russe und nimmt
sich hier alles. (Ist ja nicht schlimm, dachte ich, wo Deutschland doch sowieso pleite ist).
3. Der Türke, der hier rüberkommt hat seinen Lebtag nicht gearbeitet und wenn der hier dann
Sozialhilfe bezieht, sind alle Verwandten in Anatolien krankenversichert. Und wir bezahlen
das! (Ob das der Türke, von dem wir gerade die Pizza gekauft hatten, wusste?)
4. Hitler war kein schlechter Mensch! Alles nur Propaganda! Es hat nie die Ermordung der Juden
gegeben, die waren kaserniert, mehr nicht. Und die Standards der Kasernen waren für
damalige Verhältnisse top. Die wohnten da besser als zu Hause. Hitler hat nur einen einzigen
Fehler gemacht…
Da fuhr leider der Wagen mit den gereinigten Weihnachtsbechern vorbei, so dass ich diese
lebenserklärende Weisheit leider verpasste.
5. Die Stelle mit dem Geheimdienst, bei dem er sich natürlich auch bestens auskannte,
bekamen wir auch nicht ganz mit, da er geheimnisvoll die Stimme senkte. Top sekret!
6. Wenn hier in Deutschland aber in absehbarer Zeit alles den Bach runtergeht, so hat er gar
keine Angst. Denn er glaubt an die göttliche Gerechtigkeit.
Ja, es gibt einen Gott, und, der ist auf seiner Seite.
Er, also Gott, wird alle Russen, Türken und Amerikaner bestrafen.
Das wird er tun.
Und die Schildkröte könnte sich beglückwünschen, denn auch sie gehört zu den Geretteten,
weil sie in göttlicher Kameradschaft das deutsche Vaterland im Krieg verteidigt hat.
Galapagos nickte und freute sich!
Lächelnd schob er sein doppeläugiges Fahrrad mit den drei Schlössern weiter.
Alzheimer hat auch sein Gutes!
Er wird den Inhalt des Vortrags an der nächsten Würstchenbude vergessen haben.
Ich leider nicht!